Schreiben über Behinderung: es geht auch ohne Phrasendrescher

Schreiben ist ein Handwerk. Ein Text wird aus Sätzen, diese aus Wörtern wie ein Haus aus Ziegelsteinen aufgezogen. Damit das schneller klappt, greift man als Autor oft auf ein Repertoire an Phrasen zurück – journalistische Fertigteilhäuser quasi. Nun sind einige bewährte Phrasen aber gelegentlich, manchmal sogar sehr oft unpassend.

Liest man über Menschen mit Behinderungen stolpert man oft über „an den Rollstuhl gefesselt“, „führt bis auf xy ein vollkommen normales Leben“, „kann trotzdem lachen“, „leidet an xy“. Dazu kommen Begriffe wie „die Behinderten“ oder „die Blinden“. Menschen werden dadurch auf einen Aspekt in ihrem Leben reduziert. Es wird ihnen abgesprochen auch einmal „ganz normal“ glücklich sein zu können, denn ihr „schweres Schicksal“ ist ja ganz gewiss nur mit „viel Kraft“ zu „ertragen“.

Journalisten ist oft nicht klar, dass so eine unbedacht gewählte Formulierung andere vielleicht kränken oder ärgern könnten. Man will schließlich aus seinen Fertigbausteinen nur eine lesbare Geschichte basteln. Die Seite leidmedien.de bietet gute Beispiele, welche Formulierungen man vermeiden sollte und regt zum Nachdenken über die eigene Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung an.

4 Gedanken zu „Schreiben über Behinderung: es geht auch ohne Phrasendrescher

  1. „Die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.“ Bertolt Brecht

    Eines meiner Lieblingsthemen, das Sie hier aufgreifen, liebe Rieglerin. Es geht auch nicht nur darum, dass betroffene Menschen sich betroffen und gekränkt fühlen oder ärgern, sondern dass die Bilder in den Köpfen der anderen Menschen sich eben nicht bewegen. So wurde zum Beispiel die Entmündigung in Österreich vor 30 Jahren abgeschafft, aber das Wort geistert immer noch durch die Presse.
    Besonders schlimm finde ich auch Formulierungen wie „Pflegefall“, die Menschen überhaupt zu „Fällen“ macht, „taubstumm“ für gehörlos (mit taub assoziiert man gefühllos, und stumm sind gehörlose Menschen schon gar nicht, die haben ja eine oder mehrere Sprachen) oder „Taschengeld“ (laut Wikipedia „Geldbetrag, der Abhängigen regelmäßig zur freien Verfügung überlassen wird“ – und das, obwohl es sich dabei um das eigene Einkommen der Menschen handelt).

    Oder aber der Begriff Mongolismus. Trisomie 21 (so der korrekte Begriff) hat nichts mit den Bewohnern der Mongolei zu tun. 1965 beantragte die VR Mongolei bei einer Sitzung der WHO den Namen der mongolischen Rasse nicht mehr in diesem Zusammenhang zu benutzen.

    Seit Jahren rede ich mir den Mund fusselig, in Schulungen und auf Vorträgen und habe das Gefühl, dass sich hier ganz wenig ändert. Wie schön, dass es es Journalisten und Journalistinnen gibt, für die das sehr wohl ein Thema ist und die sensibel damit umgehen.

  2. Den meisten Behinderten ist das ehrlich gesagt piepegal. Ich bin selbst blind und was in den Zeitungen über Blinde steht ist ohnehin klischeeverhaftet. Aber das ist nicht wichtig, weil Zeitungen ohnehin wenig mit der Realität zu tun haben. Wer sich darüber aufregt hat echte Luxusprobleme.

    • Mein Vater (hatte MS) hat sich über solche Formulierungen zB schon sehr geärgert. Wenn jemand ein Problem damit hat, ist es legitim darauf hinzuweisen. Das als „Luxusproblem“ abzustempeln halte ich für leicht überheblich, jeder hat hier einen anderen Standpunkt.

  3. Eine Bekannte von mir ist gehörlos und regt sich maßlos darüber auf, wenn die Leute sie als taubstumm bezeichnen. Und nur, weil mich so etwas ärgert und ich möchte, dass sich hier etwas ändert, bedeutet das noch lange nicht, dass ich keine anderen Probleme hab. Alltags und Luxusprobleme halt 😉 … und in der Welt hätte sich noch nie etwas geändert, wenn Leute alles schlucken, was so geschrieben, gesagt und getan wird, weil er/sie es für ein Luxusproblem hält.

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